„Niemand kann den Regen aufhalten“, aber Europa gibt sich grosse Mühe

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Dieser Artikel erschien ursprünglich in “From the Sea to the City – 5 Jahre Alarm Phone

Ausweis einer afghanischen jungen Frau, gefunden an einem Strand auf der Insel Lesvos. Photo: Marily Stroux

Bis heute ist die ägäische südöstliche Migrationsroute nach Europa über die türkisch-griechische Grenze ein stark frequentierter Fluchtweg für Migrant*innen in die EU. Die meisten von ihnen überqueren das Meer mit Booten zu den griechischen Inseln, die oft nur wenige Kilometer von der türkischen Küste entfernt sind. Andere gehen über die Landgrenze, die über weite Strecken durch den langen Fluss Evros/Maritsa markiert wird. Das Alarm Phone wurde 2014 gestartet: aufgrund der dringenden Notwendigkeit, politisch aktiv einzugreifen, um das Sterben auf See zu beenden, aber auch, um Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen zu dokumentieren. Auch Geflüchtete in der Türkei und in Griechenland hatten wiederholt auf die Notwendigkeit einer unabhängigen Notrufnummer hingewiesen, die jederzeit erreichbar sein müsste. In der Ägäis erhielt das Alarm Phone bis heute im Vergleich zu den beiden anderen Hauptrouten die meisten Notrufe, insbesondere in den Jahren 2015 und 2016. Nach einem Rückgang der Notrufe aus der Ägäis erreichten uns 2019 wieder mehr Anrufe aus dieser Region.

Als wir unser Projekt im Oktober 2014 starteten, war uns unklar, wie wir eingreifen könnten, um Fälle von Pushbacks zu verhindern. Wir wussten nur, dass wir versuchen mussten, einen Weg zu finden. Der Zeit- raum vor 2015 war gekennzeichnet durch massive systematische und gewaltsame Pushbacks in der Ägäis, die von Tätern durchgeführt wurden, die als „maskierte Männer“ und/oder direkt als Angehörige der griechischen Küstenwache beschrieben wurden.

Als die neue Regierung mit Syriza 2015 in Griechenland antrat, beendete sie die Ära der Pushbacks in der Ägäis nicht vollständig, sorgte aber zumindest für einen deutlichen Rückgang solcher Fälle. Dieser Rück- gang ist vor allem aber auch vor dem Hintergrund des „langen Sommers der Migration“ zu sehen, als Tausende täglich das Meer in der Ägäis über- querten. Hunderte von Fällen erreichten das Alarm Phone in dieser Phase. Ende Oktober 2015 erreichten wir den Höhepunkt, als 99 Boote in Seenot in der Ägäis das Alarm Phone innerhalb von nur einer Woche anriefen.

In dieser Zeit änderte sich auch die Art und Weise, wie Geflüchtete Kommunikationsmittel zu ihrem eigenen Schutz einsetzten. Mit ihren Smartphones begannen sie, die GPS-Positionen ihrer Reisen und, wo
möglich, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Da die Mobilfunkabdeckung in dieser Region fast vollständig gegeben ist, konnten sie WhatsApp auch während der Reise nutzen. Die Bedeutung dieses Wandels in Sachen Kommunikation – eine Kombination aus einer Art Selbstverteidigung der Migrant*innen und einem wachsenden öffentlichen
Interesse an Menschenrechtsverletzungen auf See, die vor der Tragödie
von Lampedusa im Oktober 2013 so nicht existiert hatte – sollte nicht unterschätzt werden.

Dennoch blieben auch in den folgenden Jahren Pushbacks und Angriffe auf Flüchtlingsboote nie ganz aus, wie wir immer wieder dokumentiert haben. Ein Überlebender einer Pushback-Operation bei Chios berichtete uns am 11. Juni 2016:

„In unserem Boot waren wir Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, dem Irak und ein paar Menschen aus anderen Ländern. Die türkische Küstenwache entdeckte uns und verfolgte uns bis zu den griechischen Gewässern. Dann stoppten sie. Wir fuhren dann weitere zehn Minuten, bis uns ein griechisches Boot stoppte. Es waren fünf Offiziere auf diesem griechischen Boot, und es gab zwei weitere Boote: eines aus Portugal und ein grosses Boot, von dem wir nicht wussten, woher es kam. Das griechische Boot nahm uns mit an Bord. Sie sagten: Ihr seid jetzt in Sicherheit. Ihr seid in Europa angekommen. Wir haben versucht, in Griechenland um Schutz zu bitten. Wir haben gesagt, wir wollen Asyl. Sie erlaubten uns nicht zu sprechen. Wir konnten ihnen nicht sagen, dass wir auch in der Türkei in Gefahr sind. Dann haben wir dort gewartet. Die anderen Boote standen und beobachteten aus der Ferne. Nach 25 Minuten kam ein türkisches Küstenwachboot. Die Griechen hielten Waffen auf unsere Köpfe gerichtet und drohten zu schiessen, wenn wir nicht auf das türkische Boot gehen. Der Chef der griechischen Küstenwache sagte auf Englisch, und es sollte für alle Menschen übersetzt werden: Sag ihnen, dass ich euch töten werde, wenn ihr wieder hierher kommt. Die türkische Küsten- wache nahm uns dann mit und brachte uns zurück in die Türkei.“

Anfang 2016 wurde dann die eine illegale staatliche Praxis durch eine andere ersetzt als Ergebnis der neu erzwungenen Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der EU/Griechenland, mit dem sogenannten EU-Türkei- Deal. Wir erlebten von da an weniger Pushbacks, dafür aber eine Zunahme von Pullbacks durch die türkische Küstenwache, die nach Angaben der Fliehenden manchmal genauso heftig waren wie die Pushbacks ihrer griechischen Kollegen. In den folgenden drei Jahren wurden wir seltener wegen Pushbacks alarmiert. Diese Praxis wurde seltener, verschwand aber weiterhin nicht, wie wir beispielsweise am 21. Juli 2017 bei einer Gruppe von 26 Personen dokumentiert haben:

„Sie berichteten, dass die Küstenwache sehr bedrohlich war. Sie machten
grosse Wellen, die ihr Boot heftig zum Schwanken brachte. Auf dem Küstenwachschiff trugen Männer schwarze Kleidung und Waffen. Durch
die Aktion der Küstenwache kam Wasser in das Boot, und die Passagiere
gerieten in Panik. Obwohl sie um Hilfe flehten und erklärten, dass sie
ein chronisch krankes Kind bei sich hatten, das medizinische Behandlung
brauchte, verweigerte die griechische Küstenwache die Rettung und
bestand darauf, die Schutzsuchenden in die Türkei zurückzuschicken. Aus
Angst um ihr Leben und das der Kinder, die sie an Bord hatten, darunter
ein gelähmtes Kind und ein acht Monate altes Baby, bewegten sie sich wie
befohlen zurück in türkisches Gewässer, wo dann die türkische Küsten-
wache auftauchte, um sie zurückzuholen. Abgesehen vom Boot der
griechischen Küstenwache informierten uns die Reisenden, dass ein anderes Boot mit einer griechischen, französischen, kroatischen und
deutschen Flagge während der Aktion der griechischen Küstenwache anwesend war, ohne zu intervenieren. Nachdem die Schutzsuchenden
zurückgeschoben worden waren, wurden sie von der türkischen Polizei verhaftet.“

Seit Anfang 2019 haben die Angriffe auf Boote und Pushbacks aus griechischen Hoheitsgewässern offensichtlich wieder zugenommen.[1]

Ein Überlebender eines Pushbacks am 29. April 2019 in der Nähe von Samos berichtete uns:

„Wir wurden gegen drei Uhr morgens von einem kleinen Schnellboot angehalten, das von Griechenland aus auf uns zukam. Samos war nur
15 Minuten von unserer Position entfernt. Das Boot, das sich uns näherte, sah aus wie eine Art schwarzes Beiboot. Ich habe keine Flagge darauf gesehen. Es war dunkel, und wir hatten Angst. Das Schnellboot hatte zu- erst eine Flutlichtanlage an, aber als sie näherkamen, schalteten sie das Licht aus. Es waren zwei maskierte Männer an Bord. Ich glaube, sie trugen schwarze Kleidung. Sie riefen uns zu, dass wir anhalten sollten. Mei- ne Frau war im achten Monat schwanger. Sie weinte. Es war noch
eine andere Frau mit uns auf dem Boot, die im neunten Monat schwanger war. Die maskierten Männer hatten einen langen Stock mit einem Messer dran. Damit haben sie unseren Benzinbehälter und den Motor zerstört. Unser Boot konnte sich danach nicht mehr fortbewegen. Die Wellen trugen uns zurück in die Türkei. Nach vielleicht 30 Minuten kam dann die türkische Küstenwache und verhaftete uns. Ich glaube, die beiden Maskierten hatten sie gerufen. Wir wurden auf eine Polizeistation gebracht und zwei Tage dort festgehalten.“

Die erneute Zunahme von Pushbacks ist vor dem Hintergrund der neu gewählten rechtsgerichteten Regierung Nea Dimokratia in Griechenland zu sehen, deren stellvertretender Minister für Migrationspolitik Giorgos Koumoutsakos „ein rücksichtsloses und entschlossenes Refoulementprogramm“ angekündigt hat. Razzien gegen undokumentierte Migrant*innen wurden bereits mehrfach in Athen und Thessaloniki durchgeführt, der Kurs der neuen Regierung in Sachen Migrationspolitik ist auf „Sicherheit statt Schutz“ und „Abschiebung statt Asyl“ festgelegt.[2]

Das Photo wurde von Bord des Schiffes der griechischen Küstenwache aufgenommen. Im Hintergrund sieht man das Schiff der rumänischen Küstenwache, das Teil der Frontex Mission war. Die Geflüchteten berichteten noch von einem weiteren portugiesischen Schiff, welches im Bild nicht sichtbar ist. Photo: Anonym

Anfang August besuchte der sogenannte Bürgerschutzminister Michalis Chrisochoidis die Landesgrenze in der Präfektur Evros und betonte, dass die Sicherheit des Landes „nicht verhandelbar“ sei.

Die Pushbacks an der Landesgrenze zwischen der Türkei und Griechenland hatten die ganzen letzten Jahre über nie aufgehört. Trotz einer immer besseren Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen werden nur sehr wenige der teils gut dokumentierten Vorwürfe von den griechischen Behörden untersucht, und keine der wenigen begonnenen Ermittlungen hat je zu einer Verurteilung von Beamt*innen geführt. Stattdessen wurde gegen Menschenrechtsaktivist*innen wie z.B. in der Region tätige Anwält*innen wegen angeblicher Beteiligung an Schmugglernetzwerken ermittelt – bislang ebenfalls ohne Ergebnis. Das Alarm Phone wurde 2018 in mehreren Pushback-Fällen an der Landgrenze alarmiert – in dem Jahr war die Landesgrenze wieder deutlich mehr frequentiert und die Ankünfte in Griechenland über die Landesgrenze deutlich angestiegen (2018: 18’014; 2017: 6592; 2016: 3784).[3]

Ein Überlebender von drei Pushbacks an der Landesgrenze von Evros (30. Juli 2017, März 2018, 8. April 2018) berichtete uns:

„Ich habe subsidiären Schutz in Deutschland. Um meiner kranken Mutter bei der Flucht aus Syrien in die Türkei zu helfen, bin ich 2017 über Griechenland in die Türkei zurückgekehrt. Ich konnte ihr leider nicht helfen. Und ich konnte auch keinen legalen Weg zurückfinden, da ich in der deutschen Botschaft auf viele Hindernisse stiess. Verzweifelt beschloss ich, heimlich nach Griechenland zu reisen und von dort aus nach Hause zurückzukehren. Ich fand einen Schmuggler und bezahlte ihn, mir bei der Einreise nach Griechenland zu helfen. Als ich griechisches Gebiet betrat, hielt mich griechisches Militär auf. Sie fragten, wer ich sei und woher ich komme. Sie nahmen mir meinen Pass und mein Handy ab. Ich wurde

zu einem Auto gebracht. Ich musste bis zum nächsten Morgen warten. In den frühen Morgenstunden brachten sie mich an den Fluss und zwangen mich, in ein Beiboot zu steigen. Ich wurde in die Türkei zurückgebracht. Ich habe nach meinen Papieren gefragt. Sie traten auf mich ein, und ich stürzte dabei und wurde an Beinen und Rücken verletzt. Ich fand mich ohne Dokumente in der Türkei wieder. Ich versuchte es noch mehrmals, bis es mir schlussendlich gelang, und wurde noch zwei weitere Male von Griechen auf diese Weise zurückgebracht.“

Oder, wie uns ein Familienvater berichtete, dessen Familie zum zweiten
Mal in der Evros-Region Opfer eines Pushbacks wurde (22. Mai 2018):

„Als wir Griechenland über die Landesgrenze erreichten, waren wir mit der Familie meiner Schwester zusammen. Irgendwann wurde unsere Gruppe getrennt, und wir haben einander verloren. Meine Tochter war bei der Familie meiner Schwester. Meine Frau war schwanger, und sie musste sich ausruhen, während die anderen weitergegangen sind. Als wir nach Tagen in Athen ankamen, wussten wir nicht, ob unsere Tochter und die anderen Verwandten noch leben oder nicht. Schliesslich wurden wir informiert, dass sie von der griechischen Polizei verhaftet und zurückgeschoben wurden. Sie riefen uns aus Istanbul an. Dies war das zweite Mal, dass sie sie zurückgeschoben haben. Wir leiden darunter, dass wir uns so ohnmächtig fühlen, unfähig, unserem Kind zu helfen! Sie waren weit weg von der Grenze auf griechischem Gebiet gelaufen, und die Polizei hat sie trotzdem zurückgeschickt.“

Die militarisierte Grenzregion zwischen der Türkei und Griechenland ist seit Langem ein politisch hoch konfliktbeladenes Gebiet. Insbesondere auf See existieren bis heute verschiedene Grenzlinien nebeneinander und erschweren eine genaue Bestimmung der territorialen Zugehörigkeit. In der jüngsten Vergangenheit haben illegale Grenzübertritte von Grenzbeamten oder Soldaten, von Armeeschiffen oder Flugzeugen immer wieder zu diplomatischen Konflikten geführt und die Frage nach der genauen Lage der Grenzlinie erneut aufgeworfen. Ein Konflikt, der im März 2018 zwischen den beiden Ländern über die inoffizielle Überquerung von zwei griechischen Soldaten auf die türkische Seite ausbrach, hatte zeitlich einen plötzlichen Anstieg der Ankünfte aus der Türkei zur Folge. Nur ein Zufall?

Politische Grenzkonflikte wurden oft über die nationale und europäische Migrationspolitik ausgetragen.[4] Angesichts weitergehender supranationaler politischer Interessen, aber auch der entsprechenden Abhängigkeiten ist Migrationskontrolle zu einem wichtigen Faustpfand
in den politischen Verhandlungen beider Länder mit der EU geworden, beispielsweise im Zusammenhang mit der „Schuldenkrise“ in Griechenland oder der Visapolitik für türkische Staatsbürger*innen. Die Erfüllung
oder Ablehnung der Forderungen Europas nach Kontrolle seiner südöstli
chen Grenzen, die „Steuerung“ der Migration über Hotspots auf den griechischen Inseln oder verstärkte Rückübernahmen in die Türkei oder den rechtswidrigen Einsatz von Push- und Pullbacks sind alles Aspekte der in
der Region ausgetragenen „Machtspiele“ – ohne klares Endergebnis.

Vor weniger als einem Jahrzehnt betraten europäische und supra- nationale Akteure die Region auch physisch. Im Jahr 2010 eröffnete die EU-Grenzagentur Frontex, die die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei nun als „Schwerpunkt“ ihrer Tätigkeit betrachtete, ihr erstes Regionalbüro in Piräus.[5] Seit dem 2. November 2010 koordiniert die Agentur unter der Schirmherrschaft des ersten sogenannten „Rapid Border Intervention Teams“ von Frontex (RABIT)[6] insgesamt 175 Gastbeamte aus 24 EU-Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Ländern. Im Jahr 2011 startete Frontex die See- und Landmission „Poseidon“.

Später, im Februar 2016, wurden NATO-Kriegsschiffe zur weiteren Unterstützung entsendet. Sowohl Frontex als auch die NATO spielen eine wichtige Rolle bei der sogenannten Aufklärung von versuchten Grenzübertritten. In enger Zusammenarbeit mit den Küstenwachen auf beiden Seiten der Grenze sind die nationalen Behörden aufgerufen, die Flüchtlingsboote physisch daran zu hindern, griechisches Territorium zu erreichen oder sie in die Türkei zurückzubringen, sobald sie durch Frontex- oder NATO-Aufklärung gesichtet werden. Darüber hinaus hat die EU einen enormen Geldbetrag in technische Unterstützung der griechischen und türkischen Küstenwache investiert, Mittel und Know-how für Grenzpatrouillen angeboten und ist auch an der Identifizierung und Registrierung von Mirgrant*innen und an deren Abschiebungen beteiligt.

Auf den ersten Blick scheint der Ansatz von Frontex und NATO aufzugehen, sich die Hände nicht schmutzig zu machen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht. Der Schwerpunkt der Missionen liegt auf der „Sammlung kritischer Informationen“, der „Überwachung zur Unterstützung der Bekämpfung des Menschenhandels“ sowohl während der Seepatrouillen als auch bei Seenotfällen und Rettung. Dennoch ist es unbestreitbar, dass sie die Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete mittragen. Im August 2019 veröffentlichte das journalistische Recherche-Team CORRECTIV einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen, der das Bewusstsein für Menschenrechtsverletzungen durch Frontex weiter schärfte.[7]

Die Landesgrenze war und ist ein dunkler Bereich in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen. In all den Jahren haben dort massive illegale Rückführungen stattgefunden.[8] Die Verhinderung von Grenzüberquerungen auf See ist für einige Zeit mehr in griechischer und dann wieder mehr in türkischer Hand gewesen. Für Migrant*innen ist das Ergebnis jedoch das gleiche, unabhängig davon, ob sie aus griechischen Gewässern zurückgedrängt, von türkischen Küstenwachen (aus griechischen Gewässern) zurückgeholt oder noch vor dem Versuch, sie zu überqueren, verhaftet werden: Ihnen wird ihr Recht auf Zugang zu Schutz verweigert, und sie sind weiteren lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt. Aus Sicht der Küstenwachen auf beiden Seiten, von Frontex oder der NATO haben alle diese Aktivitäten das gleiche Ziel: die Beendigung dessen, was sie als „illegale“ Migration bezeichnen. Hier in der Ägäis wütet ein Grenzregime, das auf der Verletzung der Rechte von Schutzsuchenden beruht und sie oftmals weiteren lebensbedrohlichen Situationen aussetzt, die im schlimmsten Fall mit dem Tod enden.[9]

Der Fall bei Farmakonisi, bei dem am 20. Januar 2014 elf Menschen an den Folgen einer versuchten Pushback-Operation der griechischen Küstenwache starben, ist wahrscheinlich eine der bekanntesten Tragödien in der Ägäis. Trotz grosser Anstrengungen, zumindest juristisch Gerechtigkeit für die Überlebenden und die Angehörigen der Toten zu erreichen, und einer umfassenden Dokumentation des Falles durch die vertretenden Anwält*innen haben griechische und internationale Gerichte eine strafrechtliche Ermittlung abgelehnt.[10] Am 19. März 2016 starben erneut zwei Menschen – wie berichtet wird, aufgrund einer verweigerten Rettungsaktion.[11] Eine weitere grosse Tragödie ereignete sich am 16. März 2018 in der Nähe von Agathonisi, bei der 16 Menschen starben und mindestens drei vermisst werden. Nach Angaben der Überlebenden und ihrer Angehörigen hatten die Menschen an Bord einen Notruf abgesetzt, wurden aber erst einen Tag später gerettet – für die meisten von ihnen kam die Hilfe zu spät.[12]

Während der Tod von Migrant*innen an der Grenze nicht durch
verstärkte Grenzkontrollen verhindert werden kann – wie von Frontex immer wieder zynisch verkündet wird – sehen wir in der Ägäis den Versuch
einer systematischen Abschreckung derjenigen, die in Europa Schutz suchen. Wir bestehen darauf, dass die Zivilgesellschaft handeln muss, so-
lange dieser „Krieg gegen Flüchtlinge“ andauert: bei der Seenotrettung,
mit Notrufnummern und bei der Beobachtung, Dokumentation und Skandalisierung von Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen.

 

Migration wird es immer geben:
Niemand kann den Regen aufhalten.
Für eine Welt ohne Grenzen und ohne Pässe!
Für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht!
Kein Mensch ist illegal! Stoppt das Sterben an den Grenzen!

 

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[1] Siehe letzter regionaler Aegean-Bericht des Alarm Phone von Juni 2019 (auf Englisch):
https://alarmphone.org/en/2019/06/28/alarm-phone-aegean-report/

[2] Weitere Informationen über die aktuellen Veränderungen in der griechischen Migrationspolitik:
https://rsaegean.org/en/human-rights-sacrificed-in-the-name-of-democratic-rigor/

[3] Siehe: https://data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean/location/5179

[4] Siehe: https://www.aljazeera.com/news/2019/02/greek-turkish-turbulent-ties-worsen-190206060438274.html

[5] Stellungnahmen des Alarm Phones bezüglich der Verantwortung von Frontex finden sich hier:
https://alarmphone.org/en/2015/02/15/push-back-frontex/;
https://alarmphone.org/en/2015/10/25/frontexslowsdown/

[6] RABIT: Das “Rapid Border Intervention Team” von Frontex wurde bereits 2007 gegründet, aber der Einsatz in Griechenland ist das erste Mal, dass es tatsächlich in Aktion tritt. Siehe: http://www.frontex.europa.eu/rabit_2010/background_information/

[7] Siehe: https://correctiv.org/top-stories/2019/08/04/frontex-transparenz/

[8] Siehe Alarm-Phone-Stellungnahme zu vier dokumentierten Pushbacks an der Landesgrenze 2018:
https://alarmphone.org/en/2018/07/06/four-push-back-operations-at-the-greek-turkish-land-border-witnessed-by-the-alarm-phone/

[9] Zu den Toten während der Arbeit des Alarm Phone, siehe:
https://alarmphone.org/de/2016/01/31/weekly-reports-january-2016-one-of-the-deadliest-months-ever-in-the-aegean-sea-5/;
https://alarmphone.org/en/2017/12/04/we-could-not-ignore-this-any-longer-interview-with-izmir-migrants-rights-activist/

[10] Siehe: https://rsaegean.org/en/syrian-acquitted-for-deaths-of-refugees-in-farmakonisi-case/; https://www.gcr.gr/index.php/el/news/press-releases-announcements/item/347

[11] Siehe: https://alarmphone.org/en/2016/06/20/support-for-a-co-ordinated-humanitarian-search-and-rescue-operation-is-denied-does-the-turkish-coast-guard-hold-responsibility-for-the-deaths-of-two-persons-at-sea/

[12] Siehe: https://rsaegean.org/en/agathonisipressrelease/; https://rsaegean.org/en/agathonisishipwreck-the-case-file/

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🆘 Où sont-elles? 15 personnes disparues en #Méditerranéeoccidentale. Elles sont partie #d'Algérie le 30/11. Depuis pas de contact avec le bateau. @salvamentogob est alerté et nous espérons qu'elles seront bientôt trouvées. #Lesproches s'inquiètent. #NeLesPasLaissezSeNoyer

🆘 Where are they? 15 people missing in the #WesternMed. They left #Algeria on 30 November. Since then, there's no contact to the boat. @Salvamentogob is alerted. We hope they will soon be found. Their relatives are very worried! #DontLetThemDrown!

🆘Dónde están? 17 personas desaparecidas en el #MediterraneoOccidental. Salieron de #Argelia el 28/11, y no ha habido contacto desde entonces. @salvamentogob ha sido informado y esperamos que se les encuentre pronto. Sus seres queridos están preocupados. #NoDejenQueSeAhoguen!

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