CommemorAction: Solidarität mit den Familien der 91 auf See verschwundenen Menschen!

Wo sind sie?

Berichte von Familien der 91 Verschollenen.

Video: Mohamed Saber

Vor einem Jahr, am 9. Februar 2020, um 4.09 Uhr morgens, wurde das Alarm Phone von einer Gruppe von 91 Menschen angerufen, die sie  sich auf einem im Meer treibenden schwarzen

Schlauchboot vor Garabulli, Libyen, in Seenot befanden. Sie waren in Panik, aber es gelang ihnen, ihre GPS-Koordinaten klar zu kommunizieren, die das Alarm Phone sofort an die italienischen und maltesischen Behörden sowie an die sogenannte libysche “Küstenwache” weiterleitete.

Um 5.35 Uhr riefen die Menschen das Alarm Phone zum letzten Mal an. Danach konnte kein Kontakt mit dem Boot mehr hergestellt werden. Die sogenannte libysche Küstenwache, die von Italien und der Europäischen Union finanziert und ausgebildet wird, um Menschen, die vor Gewalt und Not im Bürgerkriegsland Libyen fliehen müssen, genau wieder dahin zurück zu bringen, teilte dem Alarm Phone mit, dass sie nicht die Absicht hätten, die Menschen in Not zu suchen und zu retten, weil ihre Gefängnisse voll seien.

Aufgrund des Schweigens der staatlichen Seenotrettungszentralen in Rom und auf Malta über das Schicksal der Menschen auf dem schwarzen Schlauchboot – und das ist keine Ausnahme, sondern betrifft die  meisten Boote in Seenot im zentralen Mittelmeer – müssen sich das Alarm Phone sowie Angehörige und Freund*innen von Menschen in Seenot meist auf bruchstückhafte Informationen verlassen und versuchen, entscheidende Details zusammenzubringen, um zu rekonstruieren, was mit den Menschen in Seenot bzw. mit den Vermissten passiert ist.

In den Tagen nach dem 9. Februar 2020 wurde deutlich, dass die 91 Menschen nirgendwo zu finden waren. Es gab keine Spur von ihnen an Land und nichts, was darauf hindeutete, dass sie noch auf See waren.

Einen Monat später schrieben wir einen offenen Brief an alle Behörden und fragten, was an diesem Tag passiert sei und was sie unternommen hätten, um die 91 Menschen in Seenot zu suchen und zu retten. Wir erhielten von niemandem eine Antwort.

Erst zehn Monate später, als wir im Dezember 2020 eine weitere Anfrage an alle Behörden schickten, antwortete Frontex – eindeutig das Ergebnis des gestiegenen Drucks auf die EU-Grenzagentur und der Ermittlungen über ihre Beteiligung an den Push-Backs, die internationale Aufmerksamkeit und Verurteilung hervorgerufen haben.

Frontex schickte uns jetzt auch ein Foto, das am 9. Februar 2020 aufgenommen wurde. Es zeigt ein Schlauchboot in der Nähe der GPS-Position, die damals von den 91 in Not geratenen Menschen gemeldet wurde. Es ist das Wrack des Schlauchbootes zu sehen, von Überlebenden ist auf dem Foto nichts zu erkennen.

Source: Frontex

Während des gesamten vergangenen Jahres haben Familien und Freund*innen der 91 Vermissten, die sich an Bord des schwarzen Schlauchbootes befanden und das Alarm Phone auf der Suche nach den Angehörigen europäische Behörden kontaktiert, aber niemand hat Antworten geben.

Dank dieser kollektiven Bemühungen und der Selbstorganisation der Familien, vor allem in Darfur, wurde eine Liste der Vermissten erstellt, die 62 Namen und viele Fotos enthält. Dies gibt vielen von denen, die die europäischen Behörden an dem Tag auf See verschwinden ließen, einen Namen, ein Gesicht, ein Lächeln.

 

Bitte auf das Bild unten klicken, um alle Fotos und Namen zu sehen

 

 

Die 91 Menschen, die seit dem 9. Februar vermisst sind, sind in den offiziellen Statistiken nicht erfasst. Sie werden nur gezählt, wenn Überlebende eines in Seenot geratenen Bootes Angaben hierzu machen können. Deshalb gibt es eine hohe Dunkelziffer, d.h. die von internationalen Organisationen genannten Zahlen von über 20.000 Toten seit 2014 ist in Wirklichkeit weit höher.

Wir lehnen die Logik ab, das Leben und den Tod von People of Color auf Zahlen und Statistiken zu reduzieren. Diese rassistische Entmenschlichung erklärt nicht den Verlust von Abdul, von Aboubacar, von Adnan, von Abdel. Sie erklärt nicht den Schmerz, der ihren Müttern, ihren Schwestern, ihren Freund*innen zugefügt wurde.

Das Schweigen der Behörden zeigt, wie gering Mitgliedstaaten der EU das Recht von Menschen einschätzen, etwas vom Schicksal ihrer Liebsten zu erfahren. Sie verweigern damit eine selbstverständliche Hilfe, den Verlust ihrer Angehörigen zu betrauern.

Ganze Gemeinschaften in den Herkunftsländern sind von diesem Schweigen betroffen. Sie weigern sich aber, zum Schweigen gebracht zu werden und schließen sich stattdessen zusammen, um Antworten zu fordern. Am 9.Februar 2021 versammeln sich die Familien und Freund*innen der 91 Vermissten in Al Fasher, Darfur, um ihren Angehörigen zu gedenken und gegen dieses unsichtbare Verschwindenlassen zu protestieren.

In Solidarität mit ihnen und in Solidarität mit den Freund*innen und Familien aller Menschen, die durch das gewaltsame europäische Grenzregime vermisst oder getötet wurden, versammeln wir uns an diesem Tag in verschiedenen Städten, um Antworten zu fordern.

#SayTheirNames

Gemeinsam mit ihnen nennen wir ihre Namen, um Europa daran zu erinnern, dass jedes Schwarze Leben zählt, dass wir nicht vergessen und dass wir weiter gegen diese tödliche Abschottung an der Außengrenzen der Europäischn Union kämpfen werden.

Stoppt das Sterben auf See, jetzt!

Auf dieser Facebook-Seite findet ihr alle Aktionen und hier könnt ihr eure Soli-Botschaften, Bilder und Videos posten.

 

Alarmphone on X

Rescued! A group of 7 people called us when in distress in the central #Mediterranean. We alerted relevant authorities as well as the #civilfleet. @SOSMedIntl searched for them and carried out a successful rescue operation!

🆘! 15 people in distress in the Central Med!
A group of people left from Annaba, #Algeria, 3 days ago. Relatives still don't have news from them & fear for their lives. We've alerted authorities several times, but to our knowledge, no search operation has been launched.

«Diese Migration war immer ein ganz normaler Teil unseres Lebens – bis die EU einschritt», sagt der Aktivist Moctar Dan Yayé. Willkürliche Verhaftungen seien die Folge gewesen. «Uns wurde klar, dass wir etwas tun müssen»

@Wochenzeitung @alarm_phone

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