Wir verurteilen die Menschenrechtsverletzungen, die zurzeit auf der Insel Farmakonisi stattfinden aufs Schärfste. Wir fordern einen sofortigen Transport der Flüchtenden von Farmakonisi auf andere Inseln, auf denen Nothilfe geleistet wird und die Menschen nicht der Kontrolle des Militärs ausgesetzt sind. Außerdem fordern wir eine adäquate Infrastruktur in den Auffanglagern sowie den Zugang für den UNHCR, für die NGOs und für die zivilen Helfer_Innen, zur Insel.
In den vergangenen Wochen berichtete das Alarm Phone wiederholt von den lebensbedrohlichen Umständen, mit denen sich Flüchtende nach dem Überqueren der Ägäis konfrontiert sahen. Sie saßen teils mehrere Stunden oder sogar Tage, auf einer der griechischen Inseln fest, bevor sie von den griechischen Behörden gerettet wurden. Eine der Inseln, auf der viele Reisende stranden und teilweise über Tage festsitzen, ist die Insel Farmakonisi. Die Lage für Flüchtende dort unterscheidet sich insofern von den anderen griechischen Inseln, dass Farmakonisi einen Sonderstatus besitzt.
Farmakonisi ist eine unbewohnte Insel, eine militärische Sternwarte sowie ein Sperrgebiet. Eine militärische Spezialüberwachungseinheit, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist, ist auf der Insel stationiert. Die aktuelle Situation auf dieser Insel ist aufgrund einer nicht vorhandenen Infrastruktur für die ankommenden Flüchtenden besonders dramatisch. Sie werden ausschließlich vom Militär betreut, bis die Hafenbehörde von Leros eintrifft, um sie weiter zu transportieren. Weder NGOs noch dem UNHCR wurde bisher der Zugang zur Insel für die Bereitstellung von Gütern für die Grundbedürfnisse gewährt. Seit längerem versucht der UNHCR nun, den Zugang zur Insel zu erlangen, um dort ein Auffanglager einzurichten.
Oftmals werden Reisenden nicht ausreichend Verpflegung oder angemessene Unterkünfte bereitgestellt. Manchmal müssen sie sogar mehrere Stunden ohne Essen und Trinken ausharren. Berichten zufolge, mussten in Notsituationen selbst kleine Kinder ohne Decken ausharren. Die Tatsache, dass Menschen die vor Krieg flohen, nach der traumatischen Überquerung des Meeres auf Streitkräfte des Militärs treffen, ist besonders brisant.
Die Küstenwache auf Leros, die für den weiteren Transport der Flüchtenden verantwortlich ist, reagiert oft nicht in einem angemessenen Zeitrahmen auf Notrufe der gestrandeten Menschen. Uns wurde berichtet, dass viele sogar über mehrere Tage auf Farmakonisi ausharren mussten, bevor sie die Weiterreise antreten konnten.
Darüber hinaus meldeten Menschen Misshandlungen durch das Militär auf der Insel, sie seien bedroht und geschlagen worden. Wir können jedoch bestätigen, dass solche Situationen in letzter Zeit abgenommen haben. Dennoch steht die Insel bis heute immer wieder in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen, die vom Gesetz ungeahndet bleiben.
Viele Menschenrechtsverletzungen auf Farmakonisi betreffend illegale Push-back-Praktiken wurden von verschiedenen Menschenrechtsgruppen im Laufe der letzten drei Jahre jedoch aufgedeckt. Neuankommende Schutzsuchende wurden auf der Insel festgehalten, manchmal misshandelt und sogar gefoltert (1). Farmakonisi kam vor allem wegen einem Ereignis am 20. Januar 2014 in die Schlagzeilen. Acht Kinder und drei Frauen starben, als ein Schiff kenterte, das von der griechischen Küstenwache abgeschleppt wurde. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um einen völkerrechtswidrigen Push-back. Im Juli 2014 machten die Überlebenden und Angehörigen der Opfer einen Aufruf für Gerechtigkeit, nachdem alle Untersuchungen des Vorfalls seitens der griechischen Justiz eingestellt wurden. Im Januar 2015 wurde der Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte getragen.
Das Alarm Phone erhält aktuell viele Notrufe von Farmakonisi. Wir bieten weiterhin Unterstützung in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden, dokumentieren jedoch auch mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen. Diese leiten wir sowohl an die Behörden für weitere Untersuchungen als auch an die Öffentlichkeit weiter.
Jedes einzelne Versagen, Menschen in Gefahr zu helfen und jede einzelne Misshandlung sollte vor Gericht gestellt werden. Das menschliche Leid muss aufhören. Reisende sind keine territorialen Eindringlinge oder militärische Ziele, sondern Menschen, die internationalen Schutz benötigen.
Wir wiederholen einmal mehr: Wir verurteilen jede Menschenrechtsverletzung, die auf der Insel Farmakonisi oder im umliegenden Gewässer stattfinden aufs Schärfste. Wir fordern den sofortigen Transfer der Flüchtlinge von Farmakonisi zu anderen Inseln, wo Unterstützung gewährleistet ist und sich die Menschen frei bewegen können. Wir fordern zusätzlich, dass das UNHCR, NGOs sowie zivile Helfer_Innen der Zugang zur Militärinsel gewährt wird, um eine Auffanglager für Flüchtende einzurichten.
Bewegungsfreiheit gilt für alle Menschen!
Alarm Phone, 15. Dezember 2015
Zusätzliche Informationen:
Farmakonisi (Griechisch: Φαρμακονήσι) liegt südlich von Agathonisi, östlich der Inseln Leipsoi, Patmos und Leros, sowie nördlich der Inseln Kalymnos und Pserimos.
(1) Pro Asyl veröffentlichte im November 2013 einen sehr detaillierten Bericht über Push-backs und deckte mehrere Fälle nahe Farmakonisi auf. In einigen Fällen waren Flüchtlinge bereits auf der Insel Farmakonisi angekommen und anschließend zurückgedrängt worden. Siehe:
http://www.proasyl.de/fileadmin/fmdam/l_EU_Fluechtlingspolitik/proasyl_pushed_back_24.01.14_a4.pdf
(2) Den Aufruf der Überlebenden und der Familien findet man unter: http://www.proasyl.de/en/home/farmakonisi-we-demand-justice/