Migrationspolitik in Ägypten: „Sie finden weder die Sicherheit noch die Menschenwürde, die sie sich erhofft haben“

 Muhammad Alkashef ist Mitglied des Alarm Phones und forscht zu Migration in Ägypten. Im Jahr 2016  lernte er das Alarm Phone kennen und wurde Teil des Netzwerks. „Ich hatte den Eindruck, dass wir dieselbe Haltung haben und viele Ideen teilen. Das Projekt motiviert mich, über Ägypten hinaus zu sehen und die gesamte Mittelmeerregion in den Blick zu nehmen. Das Alarm Phone ist mehr als ein Hotline-Projekt. Es ist Ausdruck einer beeindruckenden solidarischen Initiative mit einem weiten Spektrum an Aktivitäten, von Beobachtung, Dokumentation, Beratung, Notfallarbeit bis hin zu Kampagnen und anwaltlicher Vertretung. Eine großartige Erfahrung, zu sehen, wie hier dafür eingestanden wird, Menschen aus Seenot zu retten. Etwas richtigeres kann es in meinen Augen nicht geben.“

 Er wurde von Miriam Edding interviewt  

Migration über das Mittelmeer von Ägypten aus gibt es seit den 1990er Jahren. Die Migrant_innen waren zu dem Zeitpunkt vor allem ägyptische Staatsbürger_innen, die den aussichtslosen wirtschaftlichen Bedingungen entfliehen wollten um ein besseres Leben zu finden. Ägypten als eines der größten afrikanischen Länder hat eine lange Geschichte legaler und illegaler Einwanderung. Die vielen afrikanischen Geflüchteten, die nach Ägypten kamen, flohen vor politischer Instabilität, Konflikten und Bürgerkriegen am Horn von Afrika (Äthiopien, Eritrea und Somalia) und im Sudan. Der Krieg im Jemen fügte die Jemeniten zur langen Liste der Nationalitäten der nach Ägypten fliehenden Menschen hinzu.

 Während der Umbrüche in der Region im Zuge des Arabischen Frühlings wurde Ägypten zu einer wichtigen Station für Flüchtende aus Syrien. Ägypten geriet in die Schlagzeilen, als 500 syrische und palästinensische Geflüchtete im September 2014 vor der ägyptischen Küste ertranken.

 Während die Route durch Ägypten für Menschen aus Syrien immer unattraktiver wurde, wurde sie für viele afrikanische Flüchtlinge zu einer der wenigen Optionen. Die Bevorzugung der Balkanroute ist nicht der einzige Grund, warum die syrische Migration durch Ägypten nachließ. Aus unseren Beobachtungen ergeben sich zwei weitere Gründe. Erstens hoffen und warten viel syrische Familien auf einen legalen Weg der Familienzusammenführung mit ihren Angehörigen, die es nach Europa geschafft haben. Zweitens bemerkten wir, dass sich über die sozialen Netzwerke der syrischen Geflüchteten die Informationen verbreiteten, dass das Leben in Europa sehr viel schwieriger ist, als erwartet und auch die Risiken der Mittelmeerüberquerung wurden immer bekannter. Dies können Gründe sein, warum viele es akzeptierten, in Ägypten zu bleiben und versuchten, einen legalen Aufenthalt dort zu bekommen.

 Die ägyptische Regierung erliess im Juli 2016 neue restriktive Maßnahmen gegen syrische Flüchtlinge, die nach Ägypten kamen und forderte von ihnen Visa und „Sicherheitszeugnisse“. Mitte Juli 2016 wurden 476 syrische Flüchtlinge davon abgehalten, die Grenze zu überqueren. Im Zuge dieser Verschärfung erschienen in sozialen Medien und einigen nationalen Medien Behauptungen, die syrischen Geflüchteten würden die Muslimbrüderschaft und den ehemaligen Präsidenten Mursi unterstützen. Dies führte zu einer Welle der Gewalt gegen syrische Geflüchtete. Die Suche nach Sicherheit war daher ein  weiteres Motiv, die Flucht über das Mittelmeer anzutreten.

 Die aktuelle Situation wirtschaftlicher, politischer und sozialer Unruhen in Ägypten hat in Politik und Gesellschaft zu negativen Konsequenzen geführt. Dies betrifft vor allem Flüchtlinge und Asylbewerber_innen durch einen deutlichen Anstieg xenophober Gewalt. Aber schon im Juni 2013 eskalierte diese Gewalt zum Beispiel gegenüber Äthiopier_innen, nachdem die Regierung Äthiopiens bekannt gab, sie würde den Flußlauf des Nils ändern und einen großen Staudamm auf äthiopischem Territorium bauen. Die ägyptischen Medien spielten in dieser Situation eine sehr unrühmliche Rolle, da sie Äthiopien als Hauptverantwortlichen eines drohenden Wassermangels in Ägypten darstellte.

 Im Sinai war und ist die Situation noch um vieles schlimmer. Mit den andauernden Militäroperationen des Staates gegen bewaffnete Gruppen sind Geflüchtete im Sinai – viele von ihnen Opfer von Menschenhandel – ständig auf stärkste bedroht. In Ägypten gibt es in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg der Zahlen von Geflüchteten, die verschleppt wurden und von heftiger Folter und Misshandlung in der Sinai Region betroffen waren. Allein in Kairo leben mehr als 400 Überlebende von Menschenhandel, die aus Folterlagern im Sinai entflohen oder freigelassen wurden, nach dem sie mehrmals innerhalb Ägyptens gekauft und verkauft wurden. In all diesen Fällen hat es keine Ermittlungen und keine Verhaftungen gegen die Täter gegeben.

Die Flüchtlinge verlassen ihre Länder aufgrund der ständigen Angst um ihr Leben, aber in Ägypten finden sie weder Sicherheit noch die menschliche Würde, die sie sich erhofft hatten. Die ägyptische Regierung hat vollständig dabei versagt, auch nur das Nötigste zur Verfügung zu stellen, um die physische Integrität der Menschen zu wahren. Sie hat ebenfalls darin versagt, in Konflikten zwischen lokaler Bevölkerung und Geflüchteten zu vermitteln, dies blieb der lokalen Bevölkerung und den Geflüchteten selbst überlassen. Die Geflüchteten in Ägypten leiden unter großer Marginalisierung und Verletzlichkeit. Das vorhandene juristische System und die Politik der ägyptischen Regierung  verweigern ihnen jeglichen Schutz sowie den Zugang zu Gerechtigkeit vor dem Gesetz.

Die Situation wird zusätzlich dadurch verschlimmert, dass es keine legalen Wege für die Geflüchteten gibt, eine Ausbildung  oder Arbeit aufzunehmen. Außer für Menschen, die mit ägyptischen Staatsangehörigen verheiratet sind sind, gibt es für Geflüchtete keine  gesetzliche Möglichkeit, die ägyptische Staatsbürgerschaft zu erhalten, nicht einmal dann, wenn klar ist, dass sie nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Darüber hinaus sind Geflüchtete mit Xenophobie in einem Ausmaß konfrontiert, das ständig in Gefahr ist, in gewalttätigen Rassismus umzuschlagen. Davon sind besonders sub-saharische Menschen betroffen. Keine guten Zukunftsaussichten für die soziale Integration von Geflüchteten in Ägypten.