Interview: Lisa Groß
- ist Mitglied des Alarm Phone Teams Izmir und seit vielen Jahren als Aktivist*in für die Rechte von Migrant*innen engagiert.
Lisa: Wie bist Du mit dem Projekt Alarm Phone zusammengekommen?
A: Izmir ist einer der Ausgangsorte für diejenigen, die versuchen, über die Ägäis von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Wenn Du als jemand, der sich für die Rechte von Migrant*innen einsetzt, in Izmir lebst, kannst Du an all der Gewalt in der Ägäis nicht vorbeisehen, es ist unmöglich – vor allem die push-backs und die Abfangversuche der türkischen Behörden. Wir schauten verzweifelt dabei zu, wie Menschen eingesperrt, abgeschoben, gewaltvoll zurückgeschoben und an den Grenzen ermordet wurden. Als wir begannen, öffentlich darüber zu sprechen, hieß es, das wären alles Gerüchte und wir könnten nichts beweisen. Aus diesem Grund waren wir sofort begeistert, als wir uns das erste Mal mit Mitgliedern des Alarm Phone trafen: Dieses Netzwerk gab uns nicht nur eine Möglichkeit, Beweise zu sammeln, sondern hatte auch das Potential, die Gewalt ein Stückweit zu verhindern.
L: Trotz des schändlichen EU-Türkei Deals und der furchtbaren Situation auf den griechischen Inseln, kommen weiterhin Menschen über die Ägäis nach Griechenland. Was hat sich seit dem Abkommen verändert?
A: Sicher, manche Menschen schaffen es, die Inseln zu erreichen, aber sehr viele werden auf See abgefangen, oder wenn sie an Bord gehen. Die Ägäis wurde weiter militarisiert: Schiffe der NATO kontrollieren die Gegend und informieren die türkische Küstenwache. Wenn sie beobachten, wie Boote kreuzen, fordern sie die türkischen Beamten auf, diese abzufangen, bevor es ihnen gelingt, griechische Gewässer zu erreichen.
Während die Behörden auf der einen Seite in der Regel syrische Staatsangehörige noch am selben Tag, an dem sie abgefangen wurden, wieder entlassen, werden Nicht-Syrer*innen direkt in Abschiebezentren geschickt. Sie können zwar während der Abschiebungsprozess seinen Lauf nimmt, um Asyl bitten, aber die Abschiebezentren sind sehr sehr problematische Orte – wie überall sonst auch, die Türkei bildet da keine Ausnahme. Und sogar wenn die Menschen von dort freikommen und der Asylprozess beginnt, gibt es in der Türkei keine langfristige Lösung für sie.
In Basmane, dem Viertel in Izmir, in dem im Sommer 2015 die Strassen voll waren mit Menschen, die auf die Überfahrt warteten, die in aller Öffentlichkeit darum verhandelten, hat sich die Situation komplett verändert. Basmane ist viel ruhiger geworden. Die meisten Menschen wollen die gefährliche Überfahrt nicht mehr riskieren, die sehr wahrscheinlich zur Rückschiebung in die Türkei und von der Türkei aus zur Abschiebung in ihre Herkunftsländer führt.
L: Wart ihr jemals Zeuge einer push-back Operation während einer Schicht? Welche Rolle kann das Alarm Phone in solchen Fällen spielen?
A: Das Alarm Phone hat eine wichtige vorbeugende Wirkung entfaltet. In der Vergangenheit verletzten die Behörden die Rechte von Migrant*innen im vollen Bewusstsein, dass niemals jemand davon erfahren würde, weil Migrant*innen ihrer Rechte nicht einfordern und sogar, wenn sie es täten, sie nichts hätten beweisen können. Wenn Migrant*innen nun einen Akteur wie das Alarm Phone informieren, der genau verfolgt, wie die Behörden agieren, gelingt es uns auf diesem Weg, sie innerhalb des rechtlichen Rahmens unter Druck zu setzen.
Es geschehen viel weniger push-backs im Vergleich zu den vergangenem Jahren, aber seit die Abfangmanöver der türkischen Küstenwache legal sind, werden wieder sehr viele Menschen aufgehalten. Ich hatte bislang keinen push-back Fall während einer Schichten mit dem Izmir Schichtteam, aber wir haben von sehr vielen solcher Fälle von unseren migrantischen Freund*innen gehört. Ich hoffe, dass dies endlich aufhört, alle berichteten davon, was für eine traumatisierende und fürchterliche Erfahrung es für sie war, auf dem Boot zu sein und zu denken, dass ihre Leben nun beendet sein würden.
L: Was bedeutet es zur Zeit, Aktivistin in der Türkei zu sein?
A: Die Situation ist für jede Person, die einen annähernd kritischen Blick auf die Regierung hat, seit dem Putsch Versuch im Juli 2016 ziemlich düster – ob es sich um Journalist*innen, Akademiker*innen oder Personen handelt, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen. Manche unserer Freund*innen sitzen im Gefängnis und warten auf ihre Prozesse, die vielleicht erst in einem Jahr beginnen. Andere wurden aus ihren Jobs entlassen ohne jede Erklärung oder Abfindung. Manche NGOs, die die Rechte von Geflüchteten verteidigen, sind ins Visier von regierungstreuen Medien geraten, die sie beschuldigen, als Agenten für die Europäische Union tätig zu sein und sie beschimpfen, falsche Meldungen über die Situation von Geflüchteten in der Türkei zu verbreiten, mit der Absicht, der EU mehr Einfluss in der Türkei zu verschaffen. Das verursacht bei uns gleichzeitig Wut und Angst. Aber nichtsdestotrotz werden wir unsere Arbeit fortsetzen, denn wir wissen, dass das, was wir tun, weder falsch noch illegal ist.
L: Danke für Deine Einblicke! Auf ein gemeinsames Weitermachen!