Sterben Lassen auf See – Prozess wegen unterlassener Hilfeleistung in Rom

Pressemitteilung des WatchTheMed Alarm Phone

+++ Absichtlich verzögerte Rettung 2013 wird ab 3. Dezember 2019 in Rom vor Gericht verhandelt +++ Über 250 Menschen ertranken +++ Verantwortliche italienische Offiziere werden beschuldigt +++ Heute ist die Situation im Mittelmeerraum noch schlimmer! +++ Stoppt das Sterben auf See!

Der Schiffbruch am 3. Oktober 2013 bei Lampedusa mit über 360 Todesopfern ist in unserem kollektiven Gedächtnis geblieben. Aber nur wenige erinnern sich an das Unglück, das nur acht Tage später passierte. Am 11. Oktober 2013 starben erneut über 250 Menschen auf See. Viele Frauen, Männer und Kinder ertranken, obwohl die italienische und maltesische Küstenwache mehrmals auf die bevorstehende Katastrophe aufmerksam gemacht worden war. Vom Boot aus, das in großer Not war, flehte ein syrischer Arzt verzweifelt per Satellitentelefon um Hilfe, aber die Rettungsstellen reagierten nicht auf seine SOS-Rufe. Stattdessen stritten sich italienische und maltesische Behörden über Stunden hinweg darüber, wessen Verantwortung es sein würde zu retten. Als fünf Stunden später Rettungsschiffe ankamen, war das Boot bereits gekentert und viele Menschen waren bereits ertrunken.

Sechs Jahre später wird dieser Fall einer bewusst verzögerten Rettungsaktion vor einem Strafgericht in Rom untersucht. Mehrere Offiziere der italienischen Küstenwache und der Marine sind angeklagt. Ein italienisches Marineschiff befand sich in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes ohne einzugreifen. Mehrere der Überlebenden, die Familienmitglieder verloren haben, sind als Nebenkläger beteiligt. Sie hoffen, dass diese unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge nicht ungestraft bleibt.

Die skandalösen Verzögerungen bei der Rettung im Jahr 2013 waren ein zentraler Anlass für die Gründung des Alarm Phone-Projekts. Die Monitoring-Plattform WatchTheMed beteiligte sich an der Rekonstruktion dieses Falls und führte mehrere Interviews mit Überlebenden durch. Genau ein Jahr später, am Jahrestag des tödlichen Schiffbruchs, startete am 11. Oktober 2014 das WatchTheMed Alarm Phone, eine Hotline, die rund um die Uhr erreichbar ist, um Menschen in Seenot zu unterstützen.

Das Alarm Phone existiert nun seit über fünf Jahren und hat in dieser Zeit etwa 3.000 in Not geratene Boote auf allen Routen im Mittelmeer unterstützt. In den letzten Wochen und Monaten wurde unsere Notrufnummer besonders häufig aus dem zentralen Mittelmeer angerufen. Wir haben immer wieder Notrufe aus genau dem Gebiet in der Nähe von Lampedusa und Malta erhalten, in dem die Menschen am 11. Oktober 2013 gestorben sind. Seitdem hat sich zwar viel verändert, doch wir müssen eindeutig feststellen, dass die Vorgehensweise der italienischen und maltesischen Küstenwache heute noch unverantwortlicher ist als bereits 2013. Häufig werden Notrufe völlig ignoriert, absichtliche Verzögerungen bei Rettungsaktionen sind alltägliche Phänomene, und wir haben sogar einen Push-Back der sogenannten libyschen Küstenwache aus der maltesischen SAR-Zone zurück nach Libyen dokumentiert.

Das Sterben auf See, bewusste Verzögerungen bei der Rettung und illegale Rückschiebungen von Flüchtlingen und Migranten in die Hölle der libyschen Folterlager sind keine Naturereignisse. All diese Gewalt und das Leid sind von Menschen verursacht, von Beamten und Behörden ausgeführt, gedeckt durch nationale und europäische Politiken der Abschreckung und systematischer Menschenrechtsverletzungen. Diese Gewalt und dieses Leid könnten also auch heute beendet werden.

Wir hoffen, dass der Beginn des Prozesses gegen italienische Behörden den Überlebenden etwas Würde zurückgibt, auch wenn wir wissen, dass Nichts den Tod ihrer geliebten Angehörigen aufwiegen kann. Wir hoffen, dass dieser Prozess auch Aufschluss geben wird über die heute laufenden, täglichen, kriminellen Handlungen im Mittelmeerraum und die Brutalität des EU-Grenzregime.

Dieser Prozess um einen früheren Fall unterlassenener Hilfeleistung sollte zum Signal werden an all diejenigen, die heute in Seenotfällen Rettungen verweigern oder verzögern, an alle diejenigen, die für das anhaltende Massensterben im Mittelmeer verantwortlich sind.

WatchTheMed Alarm Phone,

Berlin/Rom 02. Dezember 2019

Alarmphone on X

🆘 Où sont-elles? 15 personnes disparues en #Méditerranéeoccidentale. Elles sont partie #d'Algérie le 30/11. Depuis pas de contact avec le bateau. @salvamentogob est alerté et nous espérons qu'elles seront bientôt trouvées. #Lesproches s'inquiètent. #NeLesPasLaissezSeNoyer

🆘 Where are they? 15 people missing in the #WesternMed. They left #Algeria on 30 November. Since then, there's no contact to the boat. @Salvamentogob is alerted. We hope they will soon be found. Their relatives are very worried! #DontLetThemDrown!

🆘Dónde están? 17 personas desaparecidas en el #MediterraneoOccidental. Salieron de #Argelia el 28/11, y no ha habido contacto desde entonces. @salvamentogob ha sido informado y esperamos que se les encuentre pronto. Sus seres queridos están preocupados. #NoDejenQueSeAhoguen!

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