In einem Brief vom 9.12.2014 fordert Klaus Rösler, Direktor der Abteilung “Einsatzangelegenheiten – Operations Division” von Frontex, das Innenministerium, die Marine und die Küstenwache Italiens auf, die aktuelle Praxis der Seenotrettung von Bootsflüchtlingen einzustellen. Nach Ende der italienischen Marineoperation Mare Nostrum, die mehr als 120.000 Menschen das Leben rettete, und zu Beginn der Frontex-Operation Triton greift Rösler die Behörden in Rom dafür an, dass Schiffe nach wie vor die Anweisung erhalten, sich in „außerhalb des operativen Gebietes von Triton liegende Zonen“ zu begeben, um dort Booten in Seenot Hilfe zu leisten. Das „entspreche nicht dem operativen Plan”und nicht jedem SOS-Ruf sei zu folgen, so Rösler weiter. Als einer der Direktoren von Frontex verweist er auf die Verantwortung der libyschen Küstenwache, die es bekanntermaßen aufgrund neuer kriegerischer Konflikte seit Monaten nicht mehr gibt. Mit anderen Worten: Klaus Rösler hat von höchster Stelle der EU-Grenzschutzagentur unmissverständlich dazu aufgerufen, Flüchtlinge und Migrant_innen in Seenot massenhaft sterben zu lassen.
Vor genau 10 Jahren wurde Frontex gegründet. Bereits seit ihren ersten Einsätzen auf See in 2006 steht diese Agentur für eine aggressive Abschreckungspolitik. Um ihren angeschlagenen Ruf aufzupolieren, gab Frontex in den letzten Jahren vor, Flüchtlingskonventionen und Menschenrechte sowie Seerechtsverpflichtungen einzuhalten. Dies erweist sich nun erneut als reines Facelifting, als verlogene Imagekampagne für einen Apparat, der seit 2005 als treibende Kraft des EU-Grenzregime agiert. Neben den Einsätzen an den See- und Landgrenzen gehören dazu die Ausbildung und technische Aufrüstung der Grenzpolizeien, die Vorverlagerung der Grenzen (Externalisierung) durch die Kooperation mit Drittstaaten, die Schaffung und maßgebliche Beteiligung am Grenzüberwachungssystem EUROSUR, an der Kontrollaktion Mos Maiorum sowie nicht zuletzt an den brutal durchgeführten Sammelabschiebungen.
In der aktuellen Zuspitzung im zentralen Mittelmeer will Frontex durchsetzen, dass die 25 Schiffe und 9 Flugzeuge der Operation Triton nur innerhalb der 30-Meilen-Zone vor der italienischen Küste eingesetzt werden. Ausdrückliches Ziel von Triton ist, die Zahl der Ankünfte an europäischen Küsten zu reduzieren und Bootsflüchtlinge abzuschrecken. Während der vergangenen Monate hat das vor kurzem gegründete Watch the Med-Alarmtelefon für Migrant_innen[1][1] Rettungsaktionen mehrerer Boote unterstützt, die sich genau in der Zone befanden, aus der gemäß Frontex keine Hilferufe mehr angenommen werden sollen. Die Teams der Hotline waren in direktem Kontakt mit Bootsflüchtlingen, die nicht mehr am Leben wären, wenn Frontex‘ Politik des Sterbenlassens angewandt worden wäre. Diese Situation erfordert eine entschiedene Antwort der Zivilgesellschaft und aller sozialen Bewegungen: Stoppen wir diese unmenschliche Politik, verteidigen wir die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen!
Darüber hinaus ist es der pure Hohn, wenn ausgerechnet Frontex Anfang Januar 2015 den „Schleusern“ eine “neue Dimension der Grausamkeit” vorwirft, weil bei mehreren sogenannten „Geisterschiffen“ die Crew verschwand, um ihrer Kriminalisierung zu entgehen. Zweifellos agieren skrupellose Geschäftemacher im lukrativen Handel mit der Flucht übers Mittelmeer, doch klar ist: das Geschäft mit der illegalisierten Einreise und der tausendfache Tod auf See sind zu allererst Konsequenzen des EU-Grenzregimes. Beides könnte morgen Geschichte sein, wenn Flüchtlinge und MigrantInnen sich gewöhnliche Fähr- und Flugtickets kaufen und damit so sicher und kostengünstig wie Touristen reisen könnten.
Solange diese Bewegungsfreiheit für alle nicht durchgesetzt ist, kann das Sterben auf dem Meer nur verhindert werden, wenn weiter überall, auch vor der libyschen Küste, Menschen in Seenot sofort gerettet werden! Wir fordern die sofortige Zurücknahme der mörderischen Frontex-Anordnung. Unser Ziel ist ein euro-mediterraner Raum, der nicht von einem tödlichen Grenzregime geprägt ist, sondern von Solidarität und dem Recht auf Schutz und auf Bewegungsfreiheit.
Erstunterzeichner_innen:
Netzwerke Afrique-Europe-Interact, Borderline Europe, Welcome to Europe, FFM, Berlin; All Included, Amsterdam, Flüchtlingsrat Hamburg, Stiftung :do